Interview Marvin Dorn, Listenplatz 5

Ich habe eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, eine kühlschrankgroße Batterie im Keller und heize das – inzwischen gut gedämmte – Fachwerkhäuschen von 1780 per Wärmepumpe. Mache ich damit schon alles richtig oder ist da noch Luft nach oben? Was sagst du dazu, Marvin – als Master in Elektrotechnik – Regenerativen Energien?

Also zwei Sektoren sind da schon mal abgedeckt – Strom und Wärme. Natürlich gibt’s da noch Verkehr. Wichtiges Thema…

Eine Wallbox gibt’s auch…

E-Auto, viel Fahrradfahren und immer zu Fuß – das wäre dann schon ideal. Oder wenn’s geht auf Bus und Bahn zurückgreifen… Aber das ist auf dem Land natürlich schwierig.

Ich habe trotzdem manchmal ein schlechtes Gewissen, weil ich mir vorstelle: wenn ich viel Strom habe, haben auch andere Leute gutes Wetter und die Photovoltaik arbeitet und arbeitet und liefert Strom ins Netz – obwohl gar nicht so viel davon gebraucht wird an solchen Tagen. Und was passiert, wenn alle gleichzeitig mehr Strom benötigen, weil es dunkel und kalt ist – aber keiner aus regenerativen Quellen produziert wird, denn windstill ist es auch noch?

Man muss immer ein bisschen unterscheiden: wenn jetzt nur bei uns regional kein Wind weht, heißt das ja noch lange nicht, dass im Norden kein Wind weht. Umgekehrt: im Dezember war das mal der Fall – in Kiel war wunderschönes Wetter und überhaupt kein Wind. Und bei uns gab es Windgeschwindigkeiten von 20 km/h. Hätten wir jetzt einen größeren Windenergieausbau, hätten wir vielleicht andere Regionen in Deutschland mitversorgen können – wobei Baden-Württemberg selbst einen sehr hohen Verbrauch hat.

Also von den Netzen her geht es, dass der Strom transportiert wird?

Die Problematik mit den Netzen ist ja, dass die größten Verbraucher in Baden-Württemberg, NRW und Bayern sind. Und den ganzen Windstrom vom Norden in den Süden zu bringen, ist das Problem. Wenn wir aber vor Ort produzieren würden…

Aber wir waren ja bei dieser berühmt-berüchtigten Dunkelflaute. Die müssen wir dann schon anders abdecken. Zunächst ist der Plan, Gaskraftwerke [zu bauen], die ja schon mal deutlich weniger CO² verursachen als ein Kohlekraftwerk. Dann haben wir noch den internationalen Handel. Wir haben im letzten Jahr hauptsächlich aus Dänemark Strom eingekauft. Und Dänemark ist auch ein bisschen Transitland, d.h. wir kaufen sehr viel auch aus Norwegen. Norwegen hat ja sehr viel Wasserkraft, Dänemark sehr viel Windkraft und Biogas. Im Sommer kaufen wir dann von Frankreich Atomstrom, der ja auch klimaneutraler ist, sag ich mal…Oder klimaneutral, eigentlich. Emittiert zumindest kein CO²… Die verkaufen deshalb, weil man Atomkraftwerke nicht so gut hoch-und runterregeln kann, d.h. im Winter verbrauchen sie ihren Strom selbst und im Sommer haben sie einen Überschuss, den sie günstig verkaufen. Wir könnten den auch selbst produzieren mit Kohle- oder konventionellen Kraftwerken…

Kohlekraftwerke? Da sind wir ja auch keine Fans von, oder?

Genau. Aber besser als flächendeckend abschalten. Wenn wir nur die letzten 20%, also den Stromverbrauch in der Spitze, über konventionelle Kraftwerke abdecken, haben wir schon mal extrem viel gewonnen. Das wär schon gigantisch! Was da jetzt aber auch immer mehr kommt: kurzzyklische Dunkelflauten wie im Sommer Tag/Nachtwechsel, die kann man sehr gut auch mit großen Batteriespeichern abfangen. So ein paar Stunden kann man da schon abdecken. Ein Beispiel: wenn die ENBW jetzt Photovoltaikparks bauen, dann eigentlich nur noch mit Speicher, um eben diesen Last-Shift zu haben vom Mittag  in die Abend- oder frühen Morgenstunden. Die Zeitspanne der Photovoltaik wird größer durch Speicher.

Ist die Speicherentwicklung denn schon so weit? Können wir unbegrenzt Strom speichern?

Von der Technologie sind wir so weit, dass wir das eigentlich alles können. Grad Batteriespeicher – die Entwicklung ist Wahnsinn, was da vorwärts geht. Auch die Kapazitäten, die Preise vor allem. Da rechnet man z.B. damit, dass Elektroautos günstiger werden als Verbrennerautos. Das kann in Zukunft auf jeden Fall kommen. Aber angenommen, wir hätten ein Energiesystem mit 100% Erneuerbaren, dann muss man auf Wasserstoff und Derivate zurückgreifen.

Ist das auch so ungefähr der Themenbereich, in dem sich  deine Doktorarbeit bewegt?

Was wir machen, das ist noch ein bisschen ein anderer Ansatz. Es gibt so eine relativ neue Entwicklung, das nennt man Netzbooster. Es wird ja immer relativ viel gemeckert über das deutsche Netz – dabei: wir haben in Deutschland mit Sicherheit eines der sichersten Netze weltweit, eines der besten Netze weltweit. Wir haben da die sog. n-1 Regel, d.h. jeder Teil des Netzes dürfte theoretisch ausfallen und die anderen [Teile] würden das dann übernehmen. Also Netzsicherung. Der Booster sorgt dann dafür, dass wir das ganze Jahr über die Netze höher auslasten können alsbisher. Man muss gar nicht viel ausbauen, keine neuen Trassen ziehen – und kann trotzdem mehr Energie von Nord nach Süd transportieren. Diese Booster gibt es schon – und wir prüfen jetzt, wie kann man das erweitern mit Wasserstoff.

Neben Doktorarbeit, Angelsportverein und Fußball, wenn du zuhause [in Grauelsbaum] bist, bist du auch ehrenamtlich aktiv in einer Bürgerenergiegenossenschaft in Karlsruhe. Was genau läuft da?

Bürgerenergiegenossenschaften sind ja schon lange bekannt, vor allem im Norden, mit Windrädern. In Karlsruhe ist die erst ein Jahr alt, aber der Bedarf ist extrem hoch. Wir haben da auch schon ganz viele Projekte. Da werden wirklich die großen Anlagen gebaut. Es gibt ganz viele Flächen, die aber nicht bebaut werden können, weil kein Geld da ist. Eine Kommune hat halt immer das Problem, sie muss sich entscheiden. Nehme ich das Geld und baue eine PV-Anlage oder nehme ich das Geld und renoviere z.B. einen Teil des Kindergartens. Und das muss dann ja auch immer politisch gerechtfertigt werden. Wenn jetzt aber eine Bürgerenergiegenossenschaft [zur Kommune] kommt und sagt ‚Ihr habt die Fläche, ihr bekommt Einnahmen – Dachpacht- und wir bauen die Anlage und haben Einnahmen durch erneuerbare Energien‘…

…das heißt also, die Mitglieder dieser Genossenschaft geben da Geld rein, damit das dann gebaut werden kann.

Genau, ja.

….und die Gemeinde muss zustimmen, nimmt die Einnahmen von der Dachpacht und steckt sie in die Renovierung des Kindergartens! Und geht das auch weiter? Wer kriegt dann den Strom? Bleibt der in der Gemeinde?

Das Ideale für uns ist dann natürlich, wenn wir den direkt vor Ort verkaufen können. Wir müssen aber zum Teil auch über die Strombörse ganz normal verkaufen.

Wäre das jetzt was, was du dir auch vorstellen könntest hier für Lichtenau?

Eine eigene Bürgerenergiegenossenschaft zu gründen für Lichtenau, wäre vermutlich sehr viel Aufwand. Ich würde eher einen anderen Ansatz wählen: man connected sich mit anderen Bürgerenergiegenossenschaften und sagt ‚Hey, wollt ihr das nicht bei uns machen?‘ und wir machen ordentlich Werbung in der Kommune, um Mitglieder zu gewinnen, um Geld einzuwerben und damit eben Anlagen zu bauen. In Freiburg z.B. gibt’s ganz viele Bürgerenergiegenossenschaften, in Durmersheim gibt’s auch eine. Die sind immer interessiert.

Hast du denn in Lichtenau schon geeignete Gebäude ausgemacht?

Die Turnhalle z.B. Und diese Bürgerenergiegenossenschaften beziehen sich nicht nur auf Kommunen. Eigentlich arbeiten die mit allen zusammen. Mit Stadtwerken, Firmen, Sportvereinen. Gibt bestimmt einiges, was man noch tun könnte bei uns.

Du hältst ja auch noch einen Vortrag über das Thema ‚Energiewende einfach erklärt‘. Wann findet das statt?

Mittwoch, den 15.Mai um 19 Uhr im Heimatmuseum.

Also – wenn ich das Sagen hätte, ich würde dich als Energiemanager bei der Stadt anstellen! Marvin – ich danke dir für das Gespräch.